Januar 5th, 2012 by admin

Wer Sevilla kennenlernen will, der sollte diese Stadt im Spätsommer besuchen. Zu dieser Jahreszeit zeigt sich Sevilla von seiner schönsten Seite. Davon konnte ich mich 2002 während einer spontanen zweiwöchigen Backpacker-Tour durch Andalusien überzeugen. Eine Reise, die süchtig macht …

Die warme Sommernachtluft ist erfüllt vom süssen und berauschenden Duft von blühendem Jasmin, Akazien, Orangenbäumen, Rosen, Oleander und Bougainvillea. Ska, Reggae, Flamenco und Latin kommt aus jeder Bar. In den Strassen sind alle möglichen Sprachen zu hören. Es ist heiss, und selbst nachts ist es viel zu warm zum Schlafen.

Sevilla steht immer unter Spannung und wartet wie eine schlafende Schönheit nur darauf, zu erwachen.

Günstige Flüge nach Spanien werden heutzutage von vielen Airlines angeboten. Ich buchte einen billigen Flug und reservierte ein Zimmer in einer Jugendherberge – die beste Möglichkeit, um Gleichgesinnte zu treffen und um Sevilla abseits von ausgetretenen Touristenpfaden auf eigene Faust zu erkunden. Ich kaufte mir einen Stadtplan, packte meinen Rucksack und – Spanien, ich komme !

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Im Gegensatz zu grösseren, mit Touristen überfüllten spanischen Städten wie Barcelona oder Madrid ist das Nachtleben in Sevilla eher überschaubar und konzentriert sich haupsächlich auf einige bestimmte Stadtteile – was nicht heisst, dass das Nachtleben hier weniger turbulent und schweisstreibend ist. Einheimische erzählten mir, dass die Sevillanos die Woche über hart arbeiten – und die Wochenenden umso wilder feiern. Sehr sympatische Leute …

Spanier gehen gewöhnlich später aus als andere Europäer – und feiern bis zum Sonnenaufgang. Die Bars und Discos öffnen erst spät in der Nacht und schliessen auch erst spät am Morgen. Aufgrund der hohen Temperaturen nach Sonnenuntergang findet das Nachtleben vorwiegend im Freien statt.

Sehr bald übernahm ich eine alte sevillanische Tradition, den Abend zu beginnen: el botellón – das heisst im Klartext: abgepackten Alkohol (un lote) in 1- oder 1,5-Liter-Flaschen im Supermarkt kaufen, seinen eigenen Coktail aus Rum, Wodka, Whiskey, Gin, Fanta und Cola mischen, ohne bestimmtes Ziel losgehen, sich einer Gruppe von Leuten anschliessen, in den Strassen und auf den Plazas in ausgelassener Stimmung mit dem Trinken anfangen – und abwarten, was sonst noch so passiert. Fast immer entwickelt sich daraus eine lustige Party unter freiem Himmel.

Ich habe einige Nächte in der Calle Betis im Stadtteil Triana (Barrio de Triana) südlich des Guadalquivir verbracht. Calle Betis mit ihren vielen Bars, Discos und Livemusik-Clubs ist ein lohnendes Ziel für Nachtschwärmer. Manchmal finden hier spontane Flamenco-Sessions auf der Strasse statt. Nach einer ausgedehnten Kneipentour durch Sevilla kann man hier leicht hängen bleiben. Triana hat eine hohe Dichte von Flamenco-Schulen und ist die beste Addresse, wenn man einen Sevillana-Tanzkurs machen möchte.

Ein sehr angesagtes Ausgehviertel ist der Stadtteil Macarena (Barrio de la Macarena) mit der La Alameda de Hércules (Säulen des Herkules). Die Alameda de Hércules ist eine breite, von Bäumen gesäumte Sandpromenade mit Bars, Discos und Livemusik-Clubs auf beiden Seiten.

Eine der besten Locations für eine warme Sommernacht ist La Carbonería (Kohlehaus) im Stadtteil Santa Cruz (Barrio de Santa Cruz) nahe der Kathedrale von Sevilla (Catedral de Santa María de la Sede). Das ist eine Art Insider-Tip, da die Carbonería gut versteckt in dem Strassengewirr des Viertels liegt und nicht ohne Hilfe der Einheimischen gefunden werden kann.

Die Carbonería ist ein alter Kohlenhof, der in einen Livemusik-Club umgebaut wurde. Sie ist in drei Abschnitte unterteilt. Der kunstvoll ausgearbeitete, burgähnliche Eingangsbereich ist schwach erleuchtet. Ein offenes Feuer wirft Schatten auf die Schnitzereien, schiefen Wände und verwinkelten Gänge und erzeugt eine intime und gemütliche Atmosphäre. Der Eingangsbereich führt zu einer sehr grossen, teilweise überdachten Terrasse mit einer langen Bar, einer Sitzreihe aus Bänken und einer kleinen Bühne.

Hinter der Terrasse befindet sich ein typischer andalusischer Patio mit Tischen und Stühlen. Wildwachsender Jasmin, Oleander, Orangenbäume und Rosen erfüllen die Luft mit einem süssen, berauschenden und orientalischem Duft, der den Besucher in die Zeit von alten maurischen Palästen und in die Märchen von 1001 Nacht zurückversetzt. Die Carbonería hat eine einzigartige Atmosphäre und ist ein Muss für jeden Touristen. Hier spielen Live-Bands fast jede Nacht Flamenco, Jazz, Blues und arabische Musik und die Location ist voll mit Sevillanos und Touristen.

Der Besitzer der Carbonería, Paco Lira, hat sein ganzes Leben damit verbracht, unter dem Regime des spanischen Diktators Franco Flamenco-Cafés zu eröffnen und wieder zu schliessen. Zu dieser Zeit wurde der Flamenco unterdrückt und verfolgt. Während ihrer Anfänge diente die Carbonería vielen Musikern und Zigeunerfamilien als Zufluchtsort, an dem sie sich treffen und zusammen Flamenco spielen konnten.

Die Wahrscheinlichkeit ist auch heutzutage immer noch sehr hoch, dass Musiker aus der lokalen Flamenco-Szene wie etwa Paco de Lucía oder Joaquín Cortéz plötzlich und unerwartet in der Carbonería auftauchen, die Bühne betreten und eine Flamenco-Live-Session entfesseln, die niemanden unberührt lässt – ein unvergessliches Erlebnis.

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